Der Kunstflieger kann beim Red Bull Air Race als erster Deutscher Weltmeister werden.
Wenn Matthias Dolderer in sein einmotoriges Kunstflugzeug steigt und abhebt, gerät die Welt um ihn herum in Vergessenheit. Da oben, über den Wolken, gibt es nur ihn, seinen Flieger und das Spiel mit den Elementen. „Es ist ein Gefühl von Freiheit, die Verwirklichung eines Traums“, sagt der 45-Jährige.
Dolderer gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Kunstflugpiloten. Seit 2009 startet er beim Red Bull Air Race, eine weltweite Rennserie mit spektakulären Flugmanövern. Bei der „Formel 1 der Lüfte“ gelang ihm Ende April in Spielberg der erste Sieg. Jetzt greift Dolderer bei der WM sogar nach dem Gesamt-Titel. Als erster Deutscher überhaupt.
„Fliegen ist Freiheit. Wenn du abhebst, ist es ein unbeschreibliches Gefühl, die Verwirklichung eines Traums.“ - Matthias Dolderer
Dolderer wurde das Fliegen in die Wiege gelegt. Bereits mit drei Jahren hob sein Vater zum ersten Mal mit ihm ab. Als Matthias fünf war, verkauften seine Eltern ihren Bauernhof und bauten in Tannheim einen Klein-Flugplatz für Hobbyflieger auf. „Da bin ich aufgewachsen und habe mich jeden Tag mit der Fliegerei beschäftigt“, sagt Dolderer. Sein Weg war vorbestimmt.
Mit 14 machte er seinen Segelflugschein und drehte die ersten Loopings. „Ich wollte schon damals meine Grenzen austesten“, sagt der Enthusiast. Mit 17 stieg er erstmals in einen Motorflieger und erhielt als jüngster Deutscher die Ultraleichtflug-Lizenz. Seither gab der gelernte Bankkaufmann bei nationalen und internationalen Wettkämpfen Gas. Der Schwabe wurde 1991 Deutscher Meister und nahm mit der Nationalmannschaft an Welt- und Europameisterschaften teil. Im gleichen Jahr wurde Dolderer Deutschlands jüngster Fluglehrer und übernahm mit seiner Schwester Verena den Flugplatz in Tannheim.
Mit Lederhosen zum ersten WM-Sieg
Parallel trieb der smarte Pilot, der auch schon mal Lederhosen unter dem Rennanzug trägt, seine Kunstflug-Karriere voran. Nach weiteren Erfolgen auf internationaler Bühne wurde er 2008 in ein Qualifikations-Camp für das Red Bull Air Race eingeladen. Auf Anhieb erfüllte der Kunstflieger die Kriterien, erhielt die notwendige Super Lizenz und gab ein Jahr später beim Red Bull Air Race sein WM-Debüt.
Die weltweite Serie mit acht Rennen in Europa, Asien und Nordamerika zeichnet sich durch spektakuläre Locations und Flugmanöver aus. Dabei müssen die Piloten einen Parcours mit abgesteckten Pylonen durchfliegen. Die aufblasbaren „Torstangen“ sind 25 Meter hoch, stehen zehn Meter auseinander und werden mit 370 km/h durchflogen. „Das ist, als wenn man mit dem Auto in Höchstgeschwindigkeit in eine Garage einparkt“, vergleicht Dolderer augenzwinkernd. Die zeitschnellsten Flieger kommen im „Head-to-Head-Vergleich ein Runde weiter.
In seiner Premieren-Saison landete der Rookie auf einem starken neunten Platz. 2010 kam Dolderer als Gesamt-Achter ein. Der ganz große Sprung nach oben blieb ihm bislang verwehrt.
Bis zu diesem Jahr: 2016 meldete der Deutsche schon beim Auftakt in Abu Dhabi seine Titelambitionen an, wurde hinter dem Franzosen Nicolas Ivanoff Zweiter. Bei der zweiten Station im österreichischen Spielberg feierte der 45-Jährige seinen ersten WM-Sieg!
Air Race kehrt nach Deutschland zurück
Seitdem ist Dolderer in seiner Zivko Edge 540 der Gejagte. An diesem Wochenende steht im japanischen Chiba das dritte Rennen auf dem Programm. Der Routinier nimmt den Titelkampf gelassen. „Ich gehe jedes Rennen gleich an und versuche, vollen Fokus auf jeden einzelnen Flug zu setzen. Egal ob Trainingsrun oder Qualifying, Spielberg oder China.“
Wie immer gilt es beim Ritt durch die Pylonen, die Nerven zu bewahren und der Technik zu vertrauen. Dolderer: „Wir sind gut aufgestellt und ändern erst mal nichts am Setup.“ Frei nach dem Motto: ‚Never touch a running system!’ Neben dem Franzosen Ivanoff greifen auch Ex-Champion Nigel Lamb aus Großbritannien und Dauerbrenner Hannes Arch aus Österreich nach der WM-Krone. Dolderer selbstbewusst: „Der WM-Titel ist realistisch. Wir haben in den letzten Jahren viel gelernt, unsere Zeiten stetig verbessert. Du musst einfach konstant schnell sein, egal wer gerade dein Gegner ist.“
Ein Motto, das Dolderer seine gesamte Laufbahn über verfolgt. Wenn gerade kein WM-Lauf ansteht, tüftelt der Profi an neuen Teilen für Aerodynamik oder entwickelt einen belüfteten Renn-Anzug oder gibt Bücher für Kunstflugzeuge heraus. Von 2003 bis 2013 organisierte Dolderer mit seiner Schwester Verena auf dem Flugplatz Tannheim eine der größten Luftfahrttreffen Europas. Nachdem es beim „Tannkosh“ 2013 zu einem Unfall mit drei Verletzten kam, stellte die Familie die Flugschau ein.
Die Entscheidung zeigte, dass Dolderer ins Sachen Sicherheit keine Kompromisse macht. Der Kunstflugpilot stellt klar: „Beim Air Race greifen viele Sicherheitsmechanismen. Angefangen beim Material über die Crews und das ganze Umfeld – es wird alles dafür getan, um Unfälle zu vermeiden.“
Anfang September kehrt das Red Bull Air Race nach Deutschland zurück. Auf dem Lausitz Ring findet erstmals seit 2010 wieder ein WM-Rennen statt. Beim „Heimspiel“ könnte Dolderer seine Führung in der Gesamtwertung ausbauen und dem ganz großen Traum vom WM-Titel ein Stück näher kommen. Woher der einzige deutsche Air-Race-Pilot seine Motivation nimmt? Dolderer: „Ich mache das, weil ich das Fliegen liebe.“