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Ohne Kraftstoff einmal um die Welt fliegen

Mit Sonnenenergie fliegen André Borschberg und Bertrand Piccard 35.000 Kilometer

Als André Borschberg am 3. Juli 2015 mit dem Photovoltaik-Flieger Solar Impulse 2 (Si2) auf Hawaii landet, bricht der Pilot Rekorde: Für den Dauerflug von Nagoya (Japan) nach Kalaeloa brauchte der Schweizer 4 Tage und 21:53 Stunden und legte dabei 7212 Kilometer zurück – der längste und weiteste Solarflug in der Geschichte der Menschheit. Ohne Treibstoff. Und so gut wie ohne Schlaf. Doch wie geht das?

17.000 Solarzellen verwandeln Sonnenlicht in elektrischen Strom

André Borschberg und Bertrand Piccard sind auf einer Mission. Mit ihrem Solarflugzeug Si2 wollen sie einmal um die Welt. Das Besondere des Ein-Mann-Fliegers: Er braucht keinen Treibstoff und produziert keine Abgase. 17.000 Solarzellen auf den Tragflächen, die eine Spannweite von 72 Metern messen und somit größer sind, als die einer Boeing 747, halten das technische Wunderwerk dank Elektromotoren in der Luft – bei Tag und bei Nacht. Für die Nachtflüge werden tagsüber Akkus in den Motorgondeln aufgefüllt. Außerdem wird Energie in Form von Höhe gespeichert. Bei Tageslicht steigt die Solar Impulse 2 auf bis zu 8.500 Metern Höhe auf, in der Nacht sinkt sie auf 1.500 Meter ab. In dreizehn geplanten Etappen wollen Borschberg und Piccard abwechselnd das Flugzeug, das gerade mal so viel wie ein kleines Familienauto wiegt, einmal um die Welt steuern. Dabei geht es nicht darum, den Flugverkehr zu revolutionieren, sondern für erneuerbare Energien zu werben.

''Unsere Technologie ist extrem energieeffizient, nur so können wir dieses Flugzeug Tag und Nacht fliegen. Unsere Motoren haben eine Effizienz von 97 Prozent. Ein typischer Automotor hat gerade mal eine Effizienz von 30 Prozent, das heißt 70 Prozent des Treibstoffs werden für nichts verbrannt. Unsere Technologie können wir aber überall nutzen. Die Leute sollten verstehen, dass wir die Welt dank erneuerbarer Energien effizienter und letztlich zu einem besseren Ort machen können.`` – André Borschberg

Piloten sind tagelang ohne Schlaf

„Ich habe maximal 20 Minuten am Stück geschlafen“, verrät André Borschberg als er nach der Landung auf Hawaii von den ersten Journalisten befragt wird, „ich hoffe, ich rieche nicht zu sehr“, setzt der humorvolle Familienvater hinzu. Knapp fünf Tage und fünf Nächte hat der in Zürich geborene Borschberg für die achte Etappe der Weltumrundung gebraucht. Die Strecke führte ihn einmal komplett über den Pazifik und brachte nicht nur die Solar-Technologie an seine Grenzen, sondern war vor allem für Borschberg eine körperliche Extremsituation: „Es sind minus 20 Grad Celsius und du bist auf dem Gipfel des Mount Everest. In zwölf Stunden aber sind es auf einmal heiße 40 Grad Celsius und du musst einen Höhendruck von mehreren Tausend Metern ausgleichen. Diesen Kreislauf wiederholst du fünf Tage lang! So fühlt sich das an. Wie willst du dabei überleben?“

Das 60-köpfige-Team von Solar Impulse steht also nicht nur vor einer innovativ-technologischen Herausforderung, sondern muss auch die Grenzen des Menschenmöglichen überwinden:

,,Es ist wirklich außergewöhnlich, Si2 ist das erste und einzige Flugzeug mit unendlicher Flugdauer in der Welt. Wir haben ein Flugzeug gebaut, das vollkommen umweltverträglich ist. Jetzt ist die Herausforderung den Piloten genauso zukunftsfähig zu machen.‘‘ – André Borschberg

Die Lösung dafür ist so einfach und verblüffend zugleich: Yoga. Dank der indisch-philosophischen Lehre kombiniert mit Meditation und Atemübungen gelingt es den beiden Piloten immer wieder entgegen jeglicher menschlicher Natur tagelang wach zu bleiben und ein Flugzeug sicher zu steuern. Der indische Yoga-Meister Sanjeev Bhanot hat das Fliegerduo dafür länger als ein Jahr unter seine Fittiche genommen und für sie ein spezielles Yoga-Programm zusammengestellt: „Als ich von dem Projekt Solar Impulse erfuhr, fühlte ich mich an die wunderschöne Synchronizität der Dinge erinnert: Solar Impulse und der Yoga-Sonnengruß nutzen die gleiche Energiequelle, die Sonne!“

Mit Schulter-Nacken-Brücke und klassischer Musik wach bleiben

Der erste Round-the-World-Solarflug zerrt an den Kräften der Piloten. Temperaturschwankungen von 60 Grad Celsius innerhalb weniger Stunden, kein Druckausgleich im Mini-Cockpit, Sauerstoff- und Bewegungsmangel führen zu tiefer Erschöpfung, Müdigkeit und Muskelverspannungen. Die mehrtägige Isolation ist außerdem eine enorme psychische Belastung. „Stellen Sie sich vor, Sie sind im Dschungel und müssen in einem Zelt übernachten. Sobald Sie jedoch die Augen schließen, hören Sie komische Geräusche; möglicherweise denken Sie an eine Schlange, die sich dem Zelt nähert – oder an einen Tiger, der im Gebüsch nebenan lauert. An Schlaf ist in solchen Situationen nicht zu denken, stattdessen macht man sich Gedanken, was passieren könnte. So ähnlich war es auch im Cockpit der Si2. Ständig waren da irgendwelche Geräusche“, verrät der ehemalige Militär-Pilot Borschberg.

Zur Entspannung und Erholung hat Yoga-Meister Sanjeev Bhanot spezielle Übungen entwickelt, die das Gleichgewicht im Zentralnervensystem erhalten. Dabei ist der Pilotensitz eine Sonderanfertigung, der in Nullkommanichts als Yoga-Matte dient. Pranayamas sind Atemübungen, die helfen, den Sauerstoff- und Durchblutungsmangel in extremen Höhen und bei extremen Temperaturschwankungen auszugleichen - das erhöht die Konzentration und verhindert Stimmungsschwankungen. Bewegungsübungen wie Schulter-Nacken-Brücke, Wirbelsäulendrehung oder Knie-an-die-Brust fördern die Durchblutung und Entgiftung des Körpers sowie die allgemeine Beweglichkeit. Das Meditieren erhöht außerdem die Konzentrationsfähigkeit und wird von André Borschberg und seinem Co-Piloten mit verbundenen Augen praktiziert. „Die Augenbinde verhindert die Wahrnehmung des Lichtes durch das Auge, das führt zu einer enormen Erhöhung des Melatonin-Wertes – dem wichtigsten Schlafhormon. Das reduziert Stress wiederum sofort“, erklärt Sanjeev Bhanot. Dieser Mix aus Yoga, Meditation, Atemübungen – und natürlich dem Autopilot – erlaubt Borschberg, der schon seit frühster Kindheit vom Fliegen fasziniert ist, einen bis dato unvorstellbaren Flug über fünf Tage. Doch der Ehemann und Vater dreier Kindern, der mit seiner Familie selbstverständlich in einem umweltfreundlichen Haus in Nyon lebt, peppt die uralten Yoga-Übungen im High-Tech-Flieger gern mit Musik auf:

,,Manchmal ist klassische Musik zum Relaxen gut. Ich mag aber auch Musik aus den 60ern und 70ern, das erinnert mich immer an die guten alten Zeiten. Es hängt immer von der Situation ab, manchmal höre ich auch indische Musik, das hilft mit beim Meditieren.‘‘ – André Borschberg

Ganz ohne Schlaf geht solch eine Flugreise über 117 Stunden und 53 Minuten dann aber doch nicht. Etwa zehn bis zwölf Mal schlief der 63-Jährige für je 20 Minuten, in denen der Autopilot sowohl die Höhe als auch die Flugrichtung konstant beibehielt. Doch nur die Überwachungssicherheit vom Boden aus gab Borschberg Ruhe: „Mein Team im Mission Control Center in Monaco behielt mich nonstop im Auge. Im Ernstfall hätten sie mich mittels eines Alarms aufwecken können. Das gab mir Sicherheit – und ließ mich letztlich auch ein bisschen schlafen.“

Ab April wieder über den Wolken

Nach der Rekordetappe über den Pazifik im Juli musste die Weltumrundung von André Borschberg und Bertrand Piccard mit dem Photovoltaik-Flugzeug unterbrochen werden, da sich die Batterien der Si2 überhitzten. Das Solar-Impulse-Team hat aber in den letzten Monaten keine Mühen gescheut, um den Solarflieger zu reparieren. Am 20. April steigt Borschbergs Kollege Piccard in das Cockpit und tritt die neunte Etappe an: Knapp 4.700 Kilometer führen den Sonnenflieger dann von Hawaii nach Phoenix in die USA.

In acht von dreizehn geplanten Weltumrundungsetappen hat das Pilotenduo schon 19.957 Kilometer in 254 Stunden und 58 Minuten hinter sich gebracht und dabei acht Weltrekorde aufgestellt. Wenn ihr sehen wollt, wie es ab dem 20. April mit diesem einzigartigen Projekt weitergeht, schaut über den Live-Stream auf www.solarimpulse.com den Piloten direkt im Cockpit über die Schulter.