Wie Youngster Andreas Wellinger die Führungs-Rolle im deutschen Skispringen übernahm.
Wenn jetzt in Lahti die Nordische Ski-WM so richtig in Gang kommt, führt Andreas Wellinger die deutschen Adler an. Der Ski-Springer gehört bei den Titelkämpfen (21. Februar bis 5. März) in Finnland zu den Medaillen-Kandidaten. Eine Rolle, die sich der 21-Jährige zuletzt mit starken Weltcup-Ergebnissen erarbeitet hat. „Es gibt nicht nur einen, sondern mehrere, die vorne landen können“, gab sich der neue Leader im DSV-Team bescheiden. Ob er schon in die Fußstapfen vom verletzten Top-Star Severin Freund treten kann?
Irgendwie hatte es Werner Schuster geahnt. Der Bundestrainer der deutschen Skispringer dämpfte vor dem Saisonstart die Erwartungen. Vor allem Severin Freund, dem Weltmeister und Weltcup-Gewinner von 2015, prophezeite der Österreicher ein schwieriges Jahr. Der 28-Jährige musste sich im Sommer einer Hüft-OP unterziehen und fiel mehr als fünf Monate aus. „Er ist noch nicht so weit wie letztes Jahr, aber das wäre auch ein Wunder“, sagte Schuster.
Freund belehrte seinen Trainer zunächst eines Besseren. Beim Auftakt-Springen im finnischen Kuusamo belegte der Routinier überraschend Platz zwei. Tags darauf feierte er seinen ersten Weltcupsieg seit elf Monaten und übernahm die Führung im Gesamtweltcup. „Das war wirklich nicht zu erwarten. Damit konnte keiner rechnen“, war Schuster verblüfft.
Kreuzbandriss! Freund mit Saison-Aus
Trotzdem behielt der Bundestrainer Recht. Freund kam im Winter nicht mehr an sein Leistungsvermögen heran. Im Weltcup blieben die Top-Ergebnisse aus, bei der Vierschanzen-Tournee folgte der Absturz. In Oberstdorf belegte der Vorzeige-Springer nur Platz 20, beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen enttäuschte er auf Rang 21. Freund nahm sich eine Auszeit, offiziell wegen eines grippalen Infekts. Ende Januar kam es noch schlimmer. Kurz vor seinem Comeback zog sich der Routinier im Training einen Kreuzbandriss zu – Saison-Aus! „Kurz vor der WM ist so eine Verletzung bitter. Ich wollte in Lahti meinen Titel verteidigen. Ich habe aber in meiner Karriere schon einige Rückschläge weggesteckt und weiß damit umzugehen“, sagte Freund, der sich jetzt voll auf die Olympia-Saison 2017/18 konzentrieren will.
Bis dahin müssen andere im DSV-Team in die Bresche springen. Allen voran Wellinger. Der Bayer weiß wie schnell es im Skisprung-Zirkus nach oben und unten gehen kann. Der Shootingstar gab 2012 sein Weltcup-Debüt, wurde da auf Anhieb Fünfter. Im selben Jahr folgten in Sotschi und Engelberg die ersten Podestplätze. Zwei Jahre später feierte der Springer vom SC Ruhpolding in Wisla den ersten Weltcup-Sieg. Es folgte Team-Gold bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Wellinger – jung, erfolgreich, gut aussehend – hatte das Zeug, den deutschen Ski-Helden Sven Hannawald und Martin Schmitt nachzueifern.
Schwerer Sturz und Karriere-Knick
Ende 2014 der Absturz: Beim Weltcup im finnischen Kuusamo überschlug sich Wellinger in der Luft und knallte mit dem Rücken auf den Vorbau der Schanze. Dabei zog er sich eine schwere Schulterverletzung zu. Nach OP und Reha blieben die Ergebnisse aus. Die Leichtigkeit war verflogen. Im Sommer zog Wellinger zurück in seinen Heimatort Weißbach. Zudem begann er ein Fern-Studium der Betriebswirtschaftslehre. „Man braucht einfach den Rückhalt der Familie und das Studieren bietet eine wichtige Abwechslung“, sagte der Zollwachtmeister vom SC Ruhpolding.
Wellinger bekam den Kopf frei, gewann in dieser Weltcup-Saison wieder an Höhe. Nach mäßigen Ergebnissen tastete sich der Youngster Stück für Stück an die Weltspitze heran. Der Durchbruch gelang ihm jedoch erst im neuen Jahr. Bei den Weltcups im polnischen Wisla (2.) und Zakopane (3.) schaffte der Bayer den Sprung aufs Podest. Beim Heim-Springen in Willingen setzte der Überflieger Ende Januar noch einen drauf und errang seinen ersten Weltcup-Sieg seit drei Jahren. (Sein Siegessprung im Video) „Ich bin auf dem richtigen Weg. Wenn die Sprünge konstant kommen, hat man auch weniger Ausschläge, weder nach oben noch nach unten. Dadurch werden auch die Platzierungen konstanter“, sagte Wellinger.
Wellinger reißt die Team-Kollegen mit
Für den Bundestrainer ein Glücksfall. Gerade, als Top-Springer Severin Freund verletzt ausfiel, kam Wellinger in Form. „Andy musste die Tiefen eines Springerlebens bereits mitnehmen und hat sich da eindrucksvoll rausgekämpft“, sagte Schuster.
Aus dem Teenie-Schwarm ist ein Leader geworden. Wellinger springt jetzt konstant weit und vermag auch seine Teamkollegen wie Richard Freitag und Markus Eisenbichler mitzureißen. Nach den Top-Plätzen in Oberstdorf (2./2.) und Sapporo (4./2.) gehört der Ski-Adler bei der WM in Lahti plötzlich zu den Medaillen-Anwärtern. Schuster: „Er ist auf einem sehr guten Niveau. Ich hoffe, dass er dranbleibt und so weiterspringt.“