Earth

Aufsteigerin des Jahres: Angelique Kerber

Tennis-Ass gewinnt zwei Grand Slams und steigt zur Nummer 1 der Welt auf

Als sich das Jahr dem Ende neigt, hält es für Angelique Kerber noch mal zwei besondere Momente bereit. Die Weltranglisten-Erste trifft Mitte November in Berlin Barack Obama. Der scheidende US-Präsident und der neue deutsche Sport-Star plaudern beim Mittagessen über ihre Leidenschaft. „Er ist ein großer Tennis-Fan und ein super sympathischer Typ“, sagt die 28-Jährige stolz. Am Abend nimmt Kerber den Medien-Preis Bambi entgegen, schwärmt auf der Bühne: „Vor einem Jahr saß ich noch zu Hause und habe vor mich hingeträumt. Jetzt stehe ich hier mit dem Bambi in den Händen. Unglaublich.“

Zwei Grand-Slam-Siege bei den Australian und US Open, Silber bei den Olympischen Spielen in Rio, Zweite beim WTA-Finale in Singapur und die Eroberung der Weltranglisten-Spitze: Für Angelique Kerber ist 2016 das erfolgreichste Jahr ihrer Tennis-Laufbahn. „Jetzt habe ich das Gefühl: Ich habe es geschafft. Und niemand kann mir das jemals wieder wegnehmen. Diese Eindrücke habe ich die ganze Zeit in meinem Kopf und in meinem Herzen“, sagt die Aufsteigerin.

Kerber ist älteste Nummer 1 der Geschichte

Das Ungewöhnliche: Die Kielerin ist mit 28 die älteste Spielern, die erstmals die Spitze der Weltrangliste erobert. Sie besitzt nicht das begnadete Talent einer Steffi Graf, die 1997 als letzte Deutsche die Nummer 1 der Welt war. Sie hat nicht die überragende Physis der Amerikanerin Serena Williams, die das Damen-Tennis der letzten zehn Jahre dominiert hat. Dafür hat die Spätstarterin einen Ehrgeiz und eine Beharrlichkeit entwickelt, die sie nach 13 Profi-Jahren ans Ziel ihrer Träume gebracht hat. „Mit 15 musste sie mal angeben, was sie als Tennisspielerin erreichen will. Sie schrieb: Nummer 1 der Welt“, erinnert sich Barbara Rittner, die Chefin des deutschen Fed-Cup-Teams und lobt: „Hut ab vor der Konstanz und harten Arbeit, die sie in all der Zeit investiert hat.“

Die Tochter polnischer Einwanderer ist in Bremen geboren. Seit war drei, als Vater Slawek mit ihr in einer Kieler Tennishalle die ersten Bälle übers Netz schlug. Mutter Beata kümmerte sich um die Organisation. Die wichtigste Person in ihrem Leben ist Großmutter Maria, deren Armband sie als Glücksbringer trägt. In der polnischen Heimat, wo Kerber auch ein Tennis-Center betreibt, zieht sich der Weltstar zurück, tankt Kraft für den Tennis-Zirkus. Kerber ist bodenständig, geerdet, meidet so oft es geht das Rampenlicht.

Als 92. ins US-Open-Halbfinale

Lange plätschert ihre Laufbahn vor sich hin. Mit 15 schlägt sie nach dem Realschulabschluss eine Profi-Laufbahn ein. Zunächst muss sich die Rechtshänderin, die mit links Tennis spielt, in der zweitklassigen ITF-Tour nach oben arbeiten. Mit 18 bestreitet sie ihr erstes WTA-Turnier. In dem Alter feierte Steffi Graf schon ihren ersten Grand-Slam-Sieg. „Ich glaube, ich wusste nicht, was ich genau will, hatte keinen richtigen Plan“, sagt Kerber, der 2009 nach einer Knieverletzung sogar das Karriere-Aus droht. Sie macht weiter, setzt 2011 das erste Achtungszeichen, als sie als 92. der Welt ins Halbfinale der US Open einzieht. Fortan kämpft sie wie die anderen deutschen Hoffnungen Andrea Petkovic und Sabine Lisicki im gehobenen Mittelmaß. Ein Aufstieg in Zeitlupe.

Erst 2015 gelingt Kerber der Sprung in die Weltspitze. Sie trennt sich im Frühjahr von Trainer Benjamin Ebrahimzadeh und kehrt zum langjährigen Coach Torben Beltz zurück. „Torben weiß genau, wie ich ticke. Wir kennen uns schon so lange, er kann auch mit meinen Emotionen umgehen. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, will ich es auch so durchziehen“, sagt die Norddeutsche. Als die Lust und der Spaß am Tennis zurückkehren, gewinnt sie auf der WTA-Tour vier große Turniere und beendet das Jahr als Weltranglisten-Neunte. Kerber nähert sich physisch und mental der Form ihres Lebens.

Angelique Kerber und ihr Trainer Torben Beltz bilden seit mehr als zehn Jahren ein starkes Team.

Wenn es für die laufstarke Konterspielerin in diesem Jahr ein Schlüssel-Erlebnis gibt, dann ist es bei den Australian Open. Da wehrt die ehrgeizige Arbeiterin in Runde eins gegen die Japanerin Misaki Doi einen Matchball ab. „Ich habe mir diesen Punkt noch einige Male angeschaut. Es war der Moment, der für mich der Wendepunkt in diesem Jahr war“, sagt die Kielerin. Der Ausgang ist bekannt: Kerber gewinnt in Down Under ihren ersten Grand-Slam-Titel und steigt über Nacht zum Welt-Star auf.

„Es war wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen“

Auch in Deutschland ist Kerber jetzt in aller Munde. Ein Medientermin jagt den nächsten. In ihren sozialen Netzwerken sind mehr als eine halbe Million Fans im „Angie“-Fieber. Kerber ist der Rummel unheimlich. Sportlich verliert sie die Balance, scheidet im Februar/März bei den Turnieren in Leipzig, Doha und Indian Wells früh aus. Wie schon im Vorjahr besucht sie ihr Vorbild Steffi Graf in Las Vegas. Dort schöpft sie neuen Mut und Kraft. „Damals ist viel auf mich eingestürmt. Alles war Neuland für mich. Ich habe gelernt, dass ich auch mal ,nein’ sagen muss“, resümiert sie im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Ende Juni zeigt ihre Formkurve wieder nach oben. Kerber, mittlerweile Weltranglisten-Zweite, erreicht erstmals das Grand-Slam-Finale von Wimbledon und muss sich nur der Nummer 1 Serena Williams geschlagen geben. Diesen Schwung nimmt sie mit. Im August startet sie bei den Olympischen Spielen in Rio und erringt die Silbermedaille.

Im Finale von Rio musste sich Kerber überraschend Monica Puig aus Puerto Rico geschlagen geben.

Zum Showdown kommt es bei den US Open. Da erreicht die Deutsche das Finale und erringt gegen Karolina Pliskova ihren zweiten Grand-Slam-Titel. Da die Tschechin im Halbfinale Serena Williams ausgeschaltet hat, übernimmt Kerber am 12. September als zweite deutsche Spielerin die Spitze der Tennis-Weltrangliste. „Es ist unglaublich, was in den vergangenen Wochen passiert ist. Es war nicht einfach für mich, weil ständig jemand nach der Weltrangliste gefragt und Druck aufgebaut hat. Es war wichtig für mich, meinen eigenen Weg zu finden und auch zu gehen“, sagt die Kielerin.

Kerber hat es allen gezeigt, mal wieder. Und sie ist um eine Erfahrung reicher. 2017 muss die 28-Jährige ihren Status als Nummer 1 verteidigen. Das wird schwieriger, als ihn eingenommen zu haben. „Natürlich möchte ich so lange wie möglich ganz oben bleiben. Es warten neue Aufgaben und Situationen“, sagt Kerber. Klingt so, als ließe die ruhige Kielerin ihre Träume auf sich zukommen.