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Demaryius Thomas' größter Fan nach 17 Jahren aus dem Knast entlassen

Nach der Haftentlassung der Mutter holte er sich den Superbowl

Eine Mutter feuert ihren 11-jährigen Sohn 1999 bei einem Basketballspiel an der Junior High an. Nur wenige Eltern und Zuschauer verirren sich auf die leere Tribüne – aber Katina ist da. Auf ihrem Sweatshirt steht in großen Buchstaben „Bay-Bay“, der Spitzname ihres Sohnes. Als er zwei Dreier im Korb versenkt jubelt die stolze Mutter ausgelassen. Doch nur wenige Stunden später sollten ihr Tränen übers Gesicht rinnen.

''Als das passierte … ich kann mich immer noch an den Tag erinnern. Ich hatte geträumt, dass etwas Schlimmes passieren würde. Und es passierte wirklich etwas.'' - Demaryius Thomas

Ein dumpfes, energisches Klopfen an der Tür hebt das arme, aber beschauliche Leben von Katina Smith und ihren Kindern am nächsten Morgen aus den Angeln. 14 Polizisten verschaffen sich mit einem Durchsuchungsbefehl Zutritt zu ihrem Zuhause. Und was sie finden, sollte ihr aller Leben verändern: Mehrere Hundert Dollar sorgsam zusammengerollt in kleinen Päckchen. Geld, das in Verbindung mit einem kleinen Crack- und Kokain-Ring von Minnie Pearl steht – Katinas Mutter. Mindestens 20 Jahre Haft gibt es für dieses Drogen-Delikt – und genau die bekam Katina auch. Einen Deal, bei dem sie gegen ihre Mutter aussagen und deutlichen Haftnachlass erhalten soll, schlägt sie aus. Eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens.

''Es war einfach das, was ich fühlte als Tochter tun zu müssen. Aber ich habe auch niemals vergessen, dass ich selber Mutter bin.'' - Katina Smith

So schlossen sich die schweren Gitter des Tallahassee Gefängnisses in Florida für Katina Smith, ihre Mutter Minnie Pearl bekommt sogar lebenslänglich. Und in diesem Moment scheint das weitere Leben des 11-jährigen Demaryius längst geschrieben. „Danach kam ich zu meiner Tante, aber sie dealte auch mit Drogen”, erzählt Demaryius Thomas. Wie sollte aus dem Jungen, der alles verloren hatte, jemals etwas werden? Wer soll ihm den richtigen Weg weisen?

“Ich wollte nicht schon wieder in dieser Situation stecken. Ich habe gesehen, was mit meiner Mom und meiner Granny passiert ist“, sagt Demaryius Thomas und er hat Glück. Seine Tante Shirley Brown und ihr Ehemann James nehmen den Elfjährigen bei sich auf und ermöglichten dem introvertierten Jungen ein Leben mit Zukunft, das ihn dort hingebracht hat, wo er heute steht. „Ich musste zur Kirche gehen und hatte Partyverbot. Sie gaben mir Struktur. Mein Wecker klingelte jeden Morgen um 7 Uhr. 12 Uhr Erbsen sammeln und Rasen mähen, ich war Kirchendiener. Wenn ich jemanden zu Hause besuchen wollte, musste ich fragen. Manchmal lautete die Antwort ja, manchmal nein. Ich hing mit guten Jungs ab“, so Demaryius. Und so gerät der schüchterne Junge nicht auf die schiefe Bahn und hat noch sein ganzes Leben vor sich. Auf dem Georgia Tech College studiert Thomas Management und spielt Football. 2010 wird er dann von den Denver Broncos ausgewählt.

„Kein Bedauern, keine Angst“

Heute ist Demaryius Thomas ein Football-Star. Das 1,91 m große Muskelpaket ist der beste Wide Receiver in der US-amerikanischen Profiliga NFL. Er hat mit seiner Mannschaft, den Denver Broncos, den 50. Superbowl gegen die Carolina Panthers im Februar diesen Jahres gewonnen und außerdem hält der Mann mit der Spielernummer 88 den Rekord der meist gefangenen Pässe beim Super Bowl. Den Weg dorthin bestritt Demaryius aber ohne seine Mutter und Großmutter. Nie hat seine Mutter ein Spiel von ihm live gesehen. Seinen Weg ins sportliche Rampenlicht verfolgt sie hinter Gittern nur auf einem kleinen Fernseher in der Lounge – zusammen mit ihrer Mutter Minnie, Pompoms aus Zeitungspapier und mit blauer und oranger Farbe im Gesicht. Nie hat der gläubige Junge aus Montrose seine Mutter vergessen, nie haben sie sich verloren – das Band zwischen Mutter und Sohn ist stark. Er besucht sie häufig im Gefängnis und jeden Tag telefonieren sie. Katina erinnert sich noch an ein Telefonat aus 2014, am Abend vor dem Super Bowl Spiel, als er unter Tränen sagte: „Das fühlt sich nicht richtig an. Du solltest hier sein.“ Sie beteten zusammen und sie verabschiedete ihn mit den Worten, die sie ihm vor jedem Spiel mit auf dem Weg gab: „Kein Bedauern, keine Angst.“

Familienzusammenführung dank Präsident Barack Obama

Im Sommer 2015 passiert aber etwas, womit niemand gerechnet hatte. US-Präsident Barack Obama begnadigt 46 Häftlinge, die wegen Drogendelikten Haftstrafen absaßen, jedoch nie gewalttätig waren. „Es ist ein gescheitertes System. Die Strafen passen einfach nicht zu den Verbrechen“, so Obama. Zu den begnadigten Häftlingen gehört auch Thomas‘ Mutter. Als Katina von ihrer Freilassung nach 17 Jahren Gefängnis erfährt, teilt sie ihr Glück natürlich sofort mit ihrem Sohn am Telefon: „Bay-Bay, ich komme raus. Ich werde freigelassen. Am 10. November.” Beide sind von ihren Emotionen überwältigt und können es nicht fassen, aber eins war Demaryius dann sofort klar: „Du weißt, was das heißt, oder? In dieser Saison wirst du endlich zu einem Spiel kommen.“

Premiere für Mutter und Sohn

Beim Playoff-Spiel der Denver Broncos gegen die Pittsburgh Steelers im Januar ist es dann endlich so weit. Katina Smith sitzt in den Zuschauerrängen und sieht zum allerersten Mal ihren Sohn Demaryius Thomas bei einem Football-Spiel. Ein unbeschreibliches Gefühl für den jungen Mann, der sonst nicht viel erzählt: „Das ist etwas Besonderes. Sie ist gekommen und hat einen Sieg von uns gesehen, bei ihrem ersten Mal hier, beim ersten Mal, dass sie mich hat spielen sehen. Es hat sich großartig angefühlt“, so Thomas direkt nach dem Spiel zu den Journalisten. Für Katina ist dieser Stadion-Besuch aber gar kein leichter Schritt. Nach 17 Jahren im Gefängnis hat sich die Welt verändert, sie ist überfordert von den Eindrücken und auch den Menschen. Panik- und Angstattacken erschweren ihr ein Leben in Freiheit. „Sie hinkt wirklich drei Generationen in allem hinterher“, so Thomas. Und ihr Sohn, der zur Schule ging und den sie mit 11 Jahren verlassen musste, ist auf einmal ein 28-jähriger stattlicher Mann, der zudem auch noch ein US-Football-Star ist. Doch sie nahm diese große Hürde und war beim Spiel dabei – diesmal galten die Worte „Kein Bedauern, keine Angst“ nicht nur für ihren Sohn sondern auch für sie ganz persönlich.

Eine große Geste des Star-Quarterbacks

Und nach dem deutlichen 23:16-Erfolg gegen die Pittsburgh Steelers sorgt der Denver Broncos Quarterback Peyton Manning für große Freude bei seinem Teamkollegen Demaryius Thomas. Er übergibt seinem Wide Receiver den Spielball mit der Aufforderung, diesen seiner Mutter zu schenken. Erst muss sich der Footballer noch den Fragen der Journalisten nach dem Spiel stellen, aber als dieser meint: „Meine Mutter ist direkt hinter dieser Tür, ihr bringt mich noch um“, lassen sie den aufgeregten und überglücklichen jungen Mann ziehen. Und dann übergibt Demaryius seiner Mutter, die wie damals beim Basketballspiel 1999 ein Fan-Shirt mit der Aufschrift „Bay Bay’s Mama“ trägt, den Ball. Es ist sein ganz persönlicher Touchdown. Zusammen verlassen sie dann das Stadion. Arm in Arm. Ohne Bedauern und ohne Angst.

Bildquelle: GettyImages