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Die Helden des Jahres: Islands wunderbare EM-Reise

Wie die Fußballer von der Vulkan-Insel die EURO 2016 rockten.

Eine mutig aufspielende Mannschaft, sympathische Fans und ein verrückter Fernseh-Kommentator: Island hat bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich die Massen begeistert. Die Kicker von der Vulkan-Insel warfen bei der Endrunde sensationell England aus dem Turnier und kämpften sich bis ins Viertelfinale. Mehr noch als der Erfolg der Underdogs waren es deren Anhänger, die der EURO 2016 ein freundliches Gesicht verliehen.

Dabei stand die Fußball-EM in Frankreich zunächst unter keinem guten Stern. Die Terror-Anschläge von Paris im November 2015 wirkten beim Gastgeber noch nach. Auch die Skandale um Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter sowie die Aufstockung der EM-Endrunde auf 24 Mannschaften weckten bei Fans wenig Vorfreude. Zudem trübten zu Beginn die schweren Ausschreitungen zwischen englischen und russischen Hooligans in Marseille das Bild.

No Names mit langen Namen

Sportlich nahm das Turnier schnell Fahrt auf. Vor allem die Isländer sorgten zum Auftakt der Vorrunde für die erste Überraschung. Der Fußball-Zwerg trotzte dem späteren Europameister Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo ein 1:1 ab. Ein erstes Ausrufezeichen der „Long-Name“-Truppe, die schon wegen ihrer langen Spieler-Namen wie Kolbeinn Sigborsson, Jóhann Berg Gudmundsson, Haukur Heidar Hauksson oder Runar Mar Sigurjonsson für Aufsehen sorgte.

Die wären bei einem frühen Ausscheiden Islands wohl schnell in Vergessenheit geraten. Doch die Mannschaft des schwedischen Trainers Lars Lagerbäck, die sich erstmals für eine Endrunde qualifiziert hatte, ließ sich nicht so leicht abschütteln. Nach einem 1:1 gegen Ungarn kam es gegen Österreich zum „Endspiel“ um den Einzug in die K.o.-Runde. Bis zur 90. Minute sah es nach einem weiteren 1:1-Unentschieden aus, ehe der eingewechselte Arnór Ingvi Traustason in der vierten Minute der Nachspielzeit den umjubelten 2:1-Siegtreffer erzielte.

Islands Schlachtruf erlangt Kult-Status

„Wir haben ein unglaubliches Team. Ich kann immer noch nicht ganz glauben, wie wir das geschafft haben. Das Spiel hat den Charakter von uns Isländern gezeigt“, sagte Kapitän Aron Gunnarsson, der mit Mannschaft und Fans den größten Erfolg der isländischen Fußball-Geschichte feierte. Das war auch die Geburtsstunde des Schlachtrufes, mit dem die Island-Fans Kult-Status erlangten. Mit den martialischen „Huh, huh“-Schreien und rhythmischem Klatschen sorgten die Anhänger für den Gänsehaut-Moment der EM.

Doch das isländische Fußball-Märchen ging noch weiter. Im Achtelfinale der EM wartete mit England ein Fußball-Riese. Die Star-Truppe galt als haushoher Favorit und ging durch Wayne Rooney früh per Elfmeter in Führung. Doch die wackeren Isländer schlugen nur zwei Minuten später durch Ragnar Sigurdsson zurück. In der 18. Minute erzielte Sigborsson sogar die 2:1-Führung, die sich die mutigen Isländer nicht mehr nehmen ließen. Statt nur zu verteidigen, waren sie dem dritten Treffer näher als die Engländer dem Ausgleich. „Wir waren nahe an 100 Prozent. Die Mentalität, die Laufleistung, das Spielerische, alles hat gestimmt“, freute sich Lagerbäck.

Island-Kommentator wird zum Star

Der Erfolg, die Euphorie, der Zusammenhalt – all diese wunderbaren Momente symbolisierte ein Mann: Gudmundur Benediktsson. Der Kommentator des isländischen Fernsehens avancierte mit seinem ausgelassenen Tor-Jubel zum Internet-Star. „Wir gehen nach Paris! Ich traue meinen Augen nicht. Weckt mich nie auf! Weckt mich nie aus diesem verrückten Traum auf!“, brüllte der Kommentator, der im Hauptberuf Assistenzcoach des Erstligisten KR Reykjavik war, nach dem Sieg gegen England ins Mikrofon.

Und wirklich! Islands Einzug ins EM-Viertelfinale grenzte an ein Wunder. Lediglich 20 000 Menschen spielen im am dünnsten besiedelten Land Europas Fußball. Fast alle Nationalspieler stehen bei europäischen Teams aus der zweiten oder dritten Reihe unter Vertrag. Der Erfolg der Fußballer löste in der Heimat, in der normalerweise Handball Nationalsport ist, einen Boom aus. Die Partie gegen England sahen auf Island 99,3 Prozent aller Fernsehzuschauer. Rund 30 000 Fans – fast zehn Prozent der isländischen Bevölkerung – feuerten ihr Team live im Stadion an.

Dass ihr wunderbarer Fußball-Traum im Viertelfinale endete, störte niemanden. Beim 2:5 gegen Gastgeber Frankreich zeigten die Helden noch mal erfrischenden Offensiv-Fußball und schieden mit erhobenem Haupt aus. „Es war eine fantastische Reise, als Newcomer ins Viertelfinale zu kommen", sagte Coach Lagerbäck, der das Amt komplett an seinen Assistenten Heimir Hallgrimsson übergab. „Vielleicht wäre es ein bisschen zu viel gewesen, die EM gleich im ersten Versuch zu gewinnen“, sagte Stürmer Kolbeinn Sigthorsson augenzwinkernd. Typisch Isländer eben!