Berliner Fahrrad-Gruppe „She 36“ kämpft gegen Sexismus und für eine Tour de France für Frauen
Die „Podium-Girls“ gehören zur Tour de France wie Alpe d’Huez oder der Col du Tourmalet. Ähnlich wie bei den „Grid Girls“ im Motorsport begleiten junge hübschen Damen die Siegerehrung des Radrennens. Nach jeder Etappenankunft „umrahmen“ die Hostessen den jeweiligen Sieger, streifen ihm ein buntes Trikot über, überreichen Blumen und Maskottchen und geben ihm ein Küsschen auf die Wange. Eine Zeremonie, die jetzt auf Kritik stößt.
Fahrrad-Aktivistinnen von She36 aus Berlin-Kreuzberg demonstrierten zum Start der diesjährigen Tour de France auf dem Potsdamer Platz gegen „Podium-Girls“. Als Hostessen verkleidetet trugen die Demonstrantinnen Schärpen mit Sprüchen wie „I’m not a Trophy“ oder „I’m not a Price“. Ihr Vorwurf: Die Siegerehrung beim größten Radrennen der Welt sei sexistisch und vermittle Kindern und Jugendlichen ein falsches Frauenbild.
Podium-Girls als Dekoration, gar als Preis für den Fahrer? Frauen sind nichts davon: keine Objekte, kein Siegespreis! Ich als Mutter, Fahrradkurierin und Gründerin einer etablierten Berliner Frauen-Fahrradgruppe finde es eine Schande, dass diese Tradition immer noch existiert,schrieb Initiatorin Tamara Danilov von der Fahrrad-Gruppe She 36.
Die Aktivistin startete auf der Internetplattform change.org eine Petition gegen „Podium-Girls“, die bislang von fast 18.000 Menschen unterschrieben wurde. Darin heißt es weiter: „Die Tour de France hatte die Abschaffung 2018 versprochen und ihr Wort bislang nicht gehalten. Bitte fordert mit mir vom Direktor Christian Prudhomme und der Amaury Sport Organisation (ASO) die Abschaffung von ,Podium Girls’ bei der Tour de France.“
Formel 1 hat „Grid Girls“ abgeschafft
Zudem kritisiert Danilov die einseitige Sport-Berichterstattung in den Medien, die seit Jahrzehnten männerdominiert sei. „Egal ob im Fußball, Basketball oder Fahrradsport. Es gibt zahlreiche Frauenteams und Frauenligen in nahezu allen Sportarten. In TV und Presse sind sie nur leider wenig präsent. Im Radsport gibt es Formate, die nur für Männer existieren. Es gibt die Tour de France. Aber eben nur für Männer“, schreibt die Radsportlerin.
Die Aktion von She 36 stößt bislang nicht nur auf Zustimmung. Gerade in den sozialen Netzwerken stößt die Aktion der Aktivistinnen auf Gegenwind. „Tamara, geh raus, genieß die Sonne, Natur und fahre Fahrrad“, schrieb ein User auf Facebook und fragte: „Hast du einmal Frauen, die dort arbeiten gefragt, was sie denken? Sie lieben es. Genau wie die ,Grid Girls’ in der Formel 1 ihren Job lieben.“
Die Formel 1 hatte in dieser Saison erstmals die „Grid Girls“ abgeschafft. Jetzt will Aktivistin Danilov mit den Vorurteilen im Radsport aufräumen. „,Podium-Girls’ entscheiden sich für den Job und werden bezahlt – ja. Sie müssen leicht bekleidet Preise verteilen und zur Krönung noch einen Kuss auf die Wange geben. Tun sie dies freiwillig? Das wissen wir nicht. Das müssen wir auch nicht wissen, denn was wir anprangern, ist die sexistische Symbolik dieses Aktes.“
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Tour de France für Frauen wurde 1999 eingestellt
Neben der Abschaffung der „Podium Girls“ fordert die Gruppe die Wiedereinführung einer Tour de France für Frauen. Diese fand unter ähnlichem Namen seit 1984 zeitlich und organisatorisch getrennt vom Wettbewerb der Männer statt, wurde aber mangels Aufmerksamkeit und nach Rechtsstreitigkeiten mit Sponsoren 2009 eingestellt. Profi-Radfahrerinnen fordern seit Jahren ein Comeback des Frauen-Rennens. „Es hat den Anschein, als würde der Radsport an den Traditionen festhalten“, sagte die dänische Profi-Radsportlerin Cecilie Uttrup-Ludwig in der Süddeutschen Zeitung . Bedeutet: Frauenrennen werden weiterhin als nettes Vorprogramm der Männer-Wettbewerbe betrachtet.
Die Organisatoren der Tour de France schalteten bislang auf Durchzug, beantworteten Journalisten-Anfragen zum Thema nicht oder unzureichend und ließen kritische Kommentare von She36 in den sozialen Netzwerken löschen. Tour-Direktor Christian Prudhomme sagte nach Protesten im vergangenen Jahr: „Bei den Frauen-Rennen der ASO geben ja die Männer den siegreichen Frauen ein Küsschen.“
Organisatoren anderer Radrennen haben die „Podium Girls“ bereits abgeschafft und sich Alternativen überlegt. Bei der Tour Down Under in Australien übergeben Nachwuchsfahrer die Wertungstrikots. Darauf zielt auch Tamara Danilov ab. Sie sagte dem Internetportal ze.tt : „Bei Olympischen Spielen dürfen Kinder, die in dem Sportbereich aktiv sind, ihren Idolen Medaillen und Blumen übergeben – das ist eine sehr schöne Geste.“