Die Rückkehr des schnellen Belgiers an die WRC-Spitze
Als bei der Rallye Italien anno 2016 der Belgier Thierry Neuville in Diensten von Hyundai Motorsport die letzte Wertungsprüfung beendete, war die Erleichterung spürbar. Neuville hatte den WRC-Weltmeisterschaftslauf auf Sardinien nach einem beinharten Zweikampf gegen Volkswagen-Pilot Jari-Matti Latvala am Ende dann doch deutlich für sich entscheiden können. Für den Belgier, gebürtig aus dem Städtchen St. Vith unweit von Spa-Francorchamps, war es das Ende einer langen Durststrecke.
Thierry Neuville galt bei seinem Rallye-WM Einstieg als designierter Nachfolger auf den Thron der Weltmeisterschaft. Er war es, der Hyundai bei der Deutschland-Rallye 2014 den allerersten Triumph bescherte und seither eigentlich die Nummer 1 im Team. Doch insbesondere die letzten zwei Jahre haben am Selbstbewusstsein des Rallyetalents genagt. Immer noch schnell, keine Frage, doch viele Unfälle ließen auch das Vertrauen vom Team schwinden. Seit 2015 kam es immer wieder vor, dass er ins B-Team versetzt wurde, das nicht mal um Punkte für die Herstellerweltmeisterschaft kämpft.
Der Kampf gegen das Tief
Vordergründig sollte Neuville in Ruhe das Vertrauen wieder finden, doch war dies für einen Sieganwärter wie ihn natürlich eine Degradierung. Dazu stieg Hyundai-Intern der Stern von Hayden Paddon seit 2015 immens auf. Der Neuseeländer krönte dies mit dem Gewinn der Rallye Argentinien im Duell gegen Weltmeister Ogier. Der erste Sieg des neuen Hyundai i20-Modells ging somit an den Kiwi, während Neuville wieder mal Pech hatte.
Es kam auch nicht von ungefähr, dass man beim Belgier das Wort Teamwechsel immer wieder in den Mund nahm – nach wie vor ist Neuville schnell, das konnte er auch dieses Jahr zeigen und ist somit gefragt auf dem Markt. Mit dem neuen Hyundai Rallyeboliden konnte er aber seit Beginn der Saison 2016 sein Vertrauen in den eigenen fahrbaren Untersatz nach und nach zurückgewinnen, auch wenn das die Resultate noch nicht zeigten.
Bei der Rallye Sardinien in diesem Jahr platzte aber endlich der belgische Knoten. Neuville machte das Beste aus seiner späteren Startposition und ließ sich auch durch einen frühen Dreher nicht aus der Ruhe bringen. Während Jari-Matti Latvala mit seinem Polo R bei der Jagd auf Neuville alles gab und volles Risiko einging, behielt der Hyundai-Fahrer einen kühlen Kopf und hatte immer eine Antwort parat. Das war der alte Neuville, so wie man ihn zu seinen erfolgreicheren Zeiten kannte. An diesem Wochenende auf Sardinien passte endlich wieder einmal alles zusammen und er konnte gemeinsam mit Co-Pilot Nicolas Gilsoul seinen zweiten WRC-Sieg nach Hause fahren.
„Ein wahrhaft fantastisches Wochenende. Großartige Dinge kommen zu denen, die sie sich verdienen und es ist definitiv ein unglaubliches Gefühl, diesen Sieg mit einem tollen Team zu teilen. Wir hatten einige harte Zeiten, wie in Portugal, aber wir haben zusammen gehalten und unsere harte Arbeit hat sich ausbezahlt. Das ist ein ganz spezielles Ergebnis“, so Neuville nach seinem Sieg, der ein wahrer Befreiungsschlag war.
Hoffnungsträger in der Rallye-Weltmeisterschaft
Im Laufe der letzten zwei Jahre wurde er auch vom eigenen Team immer mal wieder öffentlich kritisiert – sein reiner Speed stand dabei nie in Frage. Jetzt hört man bei Hyundai andere Töne, die Kritik hat Früchte getragen, der Belgier arbeite jetzt konzentrierter und man hat sich vor allem auch beim Aufschrieb für die Rallye verbessert, ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Sardinien war für Neuville schon immer ein gutes Pflaster – als er im Jahr 2010 den Aufstieg in die International Rally Challenge schaffte, konnte er an gleicher Stelle seine ersten Punkte einfahren. Zuvor war er in der Junior WRC unterwegs, nach und nach wurde sein Talent immer sichtbarer, spätestens als er 2011 in der IRC die Tour de Corse für sich entscheiden konnte. Damals war der heute 28-Jährige der jüngste Sieger, der je eine IRC-Rallye gewinnen konnte.
2012 ging der Belgier zum Citroën-Juniorenteam in die WRC. In seiner ersten Saison in der Weltmeisterschaft konnte er den siebten Gesamtrang erzielen. Der Plan bei Citroën war damals, den aufkommenden Rallyestern für die Zukunft aufzubauen und langfristig zu binden. Doch Neuville wechselte nur ein Jahr später in den Ford von M-Sport, die unter der Bezeichnung Qatar World Rally Team an den Start gingen. Der erste WRC-Sieg blieb ihm zwar verwehrt, doch vier zweite Plätze und drei dritte Ränge zeigten sein Potential als künftiger Weltmeister. 2013 konnte er hinter Sébastien Ogier den Vizeweltmeistertitel erringen.
Im Hyundai an die Spitze
Mit Hyundai zusammen begann Neuville im Jahr 2014 das Rallyeabenteuer des koreanischen Herstellers mit Stammsitz im deutschen Alzenau. Man schlug sich wacker, für ganz vorne reichte es zunächst nicht, zumindest bis zum August 2014. Die Rallye Deutschland in diesem Jahr erforderte zahlreiche Opfer unter den Top-Piloten, so dass sich Thierry Neuville für sich und Hyundai den ersten Sieg in der Rallye-WM überhaupt holen konnte.
Neuville und Hyundai schienen zunächst wie füreinander gemacht, doch der Belgier erlebte eine sehr durchwachsene Saison 2015, in der er das Vertrauen zusehends verlor. Lange Zeit schien nicht klar, ob sich die Wege wieder trennen und sich der Belgier einen neuen Arbeitgeber suchen würde. Doch er biss die Zähne zusammen und kämpfte sich durch sein Tief durch.
Die Auftritte in diesem Jahr hatten schon wieder einen anderen Charakter, das merkte man dem Belgier an. Die Zeiten auf den Wertungsprüfungen passten schon zu Beginn des Jahres deutlich besser, noch hatte er hier aber viel Pech mit technischen Problemen. Als ihm einmal der Sprit ausging, stellte er sich vor sein Team, wobei dies auf WM-Niveau eigentlich nicht passieren sollte. Er geht konzentrierter zu Werke und hat merklich sein Formtief verlassen, dazu ist der neue Hyundai i20 im Stande Volkswagen Paroli zu bieten. Bei der Rallye Sardinien blieb er nun endlich einmal von technischen Gebrechen, die außerhalb seiner Macht liegen, verschont - das Ergebnis ist bekannt.
Eine Schrecksekunde gab es für ihn dann aber am späten Abend der Rallye Italien noch zu überwinden. Bei der technischen Nachkontrolle stellte man fest, dass die hinteren Seitenfenster seines i20 WRC nicht der Homologation entsprachen. Die Fenster waren als Einzelteile homologiert worden, erst später stellte man fest, dass diese aufgrund des zusätzlich verwendeten Sicherheitsschaums nicht passten. Das Reglement sagt eindeutig, dass diese ohne Werkzeug entfernbar sein müssen, dies war nicht mehr gegeben. Teamchef Nandan gestand den Fehler im Prozess ein und muss dafür jetzt tief in die Portokasse von Hyundai Motorsport greifen. 50.000 Euro Strafe wurden fällig. Ein Wettbewerbsvorteil war dies auf keinen Fall, also eine Entscheidung im Sinne des Sports.
Thierry Neuville ist nach seinem zweiten WRC-Sieg mehr denn je ein gefragter Mann auf dem Fahrermarkt. Einen Vertrag bei Hyundai für 2017 hat er noch nicht in der Tasche, dazu klopfen auch Citroën, M-Sport und Rückkehrer Toyota an die Tür. Eine weitere Zusammenarbeit mit den Koreanern ist wahrscheinlich, hat man doch ein tiefes Tal zusammen durchschritten, so dass diese Kombination künftig wieder für den WM-Titel in Betracht gezogen werden muss.
Bilder ©Hyundai Motorsport