Der arm- und beinamputierte Pilot und die 24 Stunden von Le Mans
Technische Herausforderungen der besonderen Art
Die 24 Stunden von Le Mans schreiben Jahr um Jahr besondere Geschichten, doch 2016 war es eine ganz besondere, die sich fernab der großen Hersteller beim Kampf um den Gesamtsieg zutrug. Während Toyota in letzter Minute dramatisch den Triumph aus der Hand geben musste und Porsche die 84. Ausgabe des Langstreckenklassikers gewann, erreichte der offene Sportprototyp vom Team SRT41 by Oak Racing den 38. Gesamtrang. Das ist auf den ersten Blick nichts besonders, beim Blick auf die Fahrerpaarung allerdings eine sensationelle Leistung.
Neben Christophe Tinseau, Jean-Bernard Bouvet saß hier ein gewisser Frederic Sausset am Steuer und dessen Lebensgeschichte bekam vor einigen Jahren eine tragische Wendung. Als der damals 47-Jährige Franzose im Südwesten von Frankreich 2012 Urlaub machte, zog er sich eine Handverletzung zu, die zwar äußerlich nicht schwerwiegend war, jedoch bittere Folgen für den Geschäftsmann hatte.
Es stellte sich heraus, dass er sich eine hochgefährliche Infektion zugezogen hatte, die auch hätte tödlich enden könne, hätte man nicht zu einem harten Schritt greifen müssen. Sausset fiel beim Kamp gegen die Infektion ins Koma und man musste ihm sowohl beide Unterarme, als auch beide Beine oberhalb des Knies amputieren.
Aus dem Koma ins Renncockpit
Frederic Sausset blieb am Leben, doch hatte in den Monaten nach seiner Operation psychisch schwer zu kämpfen, war er zwar lebendig, doch aus seinem bisherigen Leben herausgerissen worden. Der Franzose offenbarte bereits hier einen unglaublichen Willen und setzte sich ein ganz neues Ziel, um seinem Leben wieder einen Sinn zu geben. An einem Punkt, wo viele aufgeben und sich der Depression hingeben, wollte er sich nicht von seinem großen Plan abbringen lassen, den der Hobbyfahrer bereits über längere Zeit im Auge hatte. Das neue Ziel hieß fortan – Start bei den 24 Stunden von Le Mans – dem Klassiker unter den Langstreckenrennen und eines der berühmtesten Rennen weltweit.
Für den Franzosen begann nun ein komplett neuer Lebensabschnitt. Neben dem Überleben im Alltag mit seiner Behinderung war nur das Renncockpit auf dem Circuit de la Sarthe in Le Mans das große Ziel. Da das Vorhaben 24 Stunden Rennen schon für Ottonormalverbraucher ein mehr als gewagtes Unterfangen ist, kann man sich vorstellen, dass dieses Ziel zunächst fast unerreichbar schien.
Saussets Partner und Fahrercoach Christophe Tinseau arrangierte glücklicherweise ein Treffen mit einem der Le Mans Organisatoren. Der war vom Vorhaben des Franzosen sichtlich gerührt und bot ihm und seinem Team einen Platz in der Garage 56 an. Diese Box ist normalerweise für Boliden reserviert, die mit einer neuen und innovativen Technologie an den Start gehen außerhalb der Konkurrenz.
Das Vorhaben Saussets und seiner Partner kann man aber sicher als äußerst innovativ bezeichnen, da sein Fahrzeug, ein Prototyp der Kategorie LMP2 ja nicht mit konventionellen Methoden gesteuert werden konnte. Zusätzlich musste der Bolide auch für seine Teamkollegen Tinseau und Bouvet bedienbar sein.
Frederic Sausset steuert seinen Rennboliden mittels einer Prothese, die seinen rechten Arm mit dem Lenkrad verbindet. So ein Bolide wie der Morgan-Nissan, der er hier über die Strecke bewegt, erzeugt bereits eine Menge Abtrieb, dementsprechend sind auch die Lenkkräfte recht hoch. Sausset kam aber zügig damit zurecht. Um die Bremsen und das Gas nutzen zu können, hat er Pedale an seinem Sitz, die er mit Druck auf seine Oberschenkel bedient. Diese Pedale sind mit Gas und Bremse verbunden. Der Wagen ist dazu mit ABS ausgestattet und einem voll automatischen Getriebe. Im Motorsport ist es jedoch zudem äußerst wichtig und in den Regeln verankert, dass sich ein Fahrer aus seinen Gurten befreien und das Auto in unter sieben Sekunden verlassen kann. Hier kommt jetzt Technik aus der Luftfahrt zum Einsatz, man verpasste dem Wage eine Art speziellen Schleudersitz – der nach Rücksprache mit der Streckensicherung zum Einsatz kam. Schwierig ist natürlich auch das Einsteigen, welches nur mit Hilfe von vier Mechanikern vonstattengeht, die ihn über einen Balken ins Fahrzeug heben.
Erstaunlicherweise waren dies alles nicht einfach nur technische Lösungen, damit Sausset irgendwie fahren konnte, es stellte sich bei Testfahrten heraus, dass er damit sehr gut zurechtkam und der Hobbypilot nah an sein Level vor seiner tragischen Infektion herankam. Die Technik, die dem Franzosen hilft, seine Runden zu drehen, benötigen seine Teamkollegen natürlich nicht und auch das stellte kein Problem dar. Die Steuerung für Gas und Bremse und das spezielle Lenkrad kann entfernt werden, ein Schalter wechselt von Vollautomatik auf normales Getriebe für die anderen Fahrer.
24 Stunden von Le Mans 2016 – Der größte Triumph
Somit war alles bereit für die 24 Stunden von Le Mans 2016 für das neu formierte Team. Saussets Willenskraft und Ehrgeiz hatten ihn in die Staraufstellung des Langstreckenklassikers gebracht. Der Druck, den er sich selber auferlegte war enorm, schließlich wollte er unter allen Umständen das Projekt mit einer Zielankunft vollenden.
Ausnahmen auf der Strecke gab es für ihn auch nicht, so musste er sich in der Qualifikation innerhalb von 110 Prozent der schnellsten Rundenzeit der LMP2-Klasse für das Rennen qualifizieren. Doch was die Truppe dann bei den 24 Stunden ablieferte, davor kann man nur den Hut ziehen. Der Morgan-Nissan LMP2-Bolide fiel kaum auf und das lag daran, dass die gesamte Mannschaft eine blitzsaubere Leistung ablieferte.
Die Technik hielt, einzig ein Kupplungsproblem gab es zu bemängeln. Für Sausset ging es acht Mal ins Auto, er absolvierte dann jeweils 11 Runden. „Ich habe mich nicht übermüdet gefühlt und wir haben an unserem Plan festgehalten, dass ich 8 Stints absolviere. Und wir mussten sichergehen, dass mein Arm der Belastung standhielt“, so der Franzose nach dem Rennen. Praktisch einhändig trug er so dazu bei, dass der Bolide nach 315 Runden auf Gesamtplatz 38 ins Ziel fuhr.
Die Erleichterung und die Riesenfreude war dem 47-Jährigen und seinen beiden Teampartner anzumerken, als sie mit einer Sonderauszeichnung bedacht wurden, dort, wo jeder Rennfahrer einmal hin will, aufs Podium bei den 24 Stunden von Le Mans. Die Zuschauermenge feierte diese unglaubliche Leistung frenetisch. „Ich fühle mich großartig, denn auf uns lastete ein enormen Druck. Unser ultimatives Ziel war die Zielankunft. Im Hinblick auf das Gesamtergebnis hatten wir keine besondere Anforderung. Ich danke insbesondere meinen erfahrenen Teamkollegen Christophe Tinseau und Jean-Bernard Bouvert. Und jetzt wollen wir den Erfolg auskosten“, so Sausset nach dem Rennen.
Doch der Franzose ist dem Rennsport verfallen, so schickt er hinterher: „Ich fühle mich persönlich im Motorsport zu Hause. Ich habe fantastische Leute getroffen. Und wie ich vorher gesagt habe, vergesse ich mein Handicap, wenn ich Rennen fahre und ich bin nicht bereit, dies aufzugeben. Wir werden wiederkommen“.
Der Motorsport schreibt immer wieder besondere Geschichten, die 84. Ausgabe des 24 Stunden-Rennens in Le Mans hatte in diesem Jahr eine parat, an die man sich noch lange erinnern wird. Am besten fasste es Gesamtsieger Romain Dumas in Diensten von Porsche zusammen: „Er hat uns allen eine ganz besondere Lektion im Leben gelehrt“.
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