Extremsportler schwimmt als erster Mensch um die britische Insel.
Seine Augen sehen müde aus, Gesicht und Körper sind gezeichnet von den wochenlangen Strapazen im Meer. Doch den Humor hat Ross Edgley noch nicht verloren.
„Die große Bananen-Rechnung ist der wahre Rekord, den wir hier aufstellen“,
postete der 32-Jährige auf Instagram und reckte eine Banane aus dem Wasser.
Seit mehr als 90 Tagen hat Edgley keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Der Extremsportler hat sich das unmögliche Ziel gesteckt, als erster Mensch das britische Festland zu umschwimmen. Beim „Great British Swim“ will der Brite in 200 Tagen 2000 Meilen (3200 Kilometer) zurücklegen und noch vor Beginn der kalten Jahreszeit London erreichen.
„Das wäre in etwa so, als würde ich täglich den Ärmelkanal durchschwimmen. Ich weiß, dass ich das schaffe und der Erste in der Geschichte sein kann, der das erreicht.“
Nicht das erste Mal, dass der Extrem-Sportler mit spektakulären Aktionen aufwartet. Letztes Jahr absolvierte der Brite in der Karibik seinen ersten Triathlon – mit einem 45 Kilo schweren Baumstamm auf dem Rücken. Mit der Aktion sammelte er Spenden für den Umweltschutz auf Nevis Island, die bis 2020 die erste kohlenstoffneutrale Insel sein will. Zuvor lief der Fitness-Guru einen Marathon und zog dabei einen Mini hinter sich her. Ein anderes Mal kletterte er auf einem Seil in 24 Stunden so weit, wie der Mount Everst hoch ist. Ein Superman der Moderne. Warum das Ganze?
Sportwissenschaftler, Fitness-Guru, Getriebener
Edgley, Typ Muskelpaket und Entertainer, ist ein Getriebener, der die Grenzen des eigenen Körpers immer weiter austestet. In jungen Jahren war er als Schwimmer und Kapitän des britischen Wasserball-Nationalteams erfolgreich. Nach seiner aktiven Laufbahn studierte er an der renommierten Loughborough Universität Sportwissenschaft und arbeitete als Konditionstrainer am englischen Institut für Sport. Hier beriet er unter anderem britische Spitzensportler, die bei den Olympischen Spielen 2008 und 2012 Medaillen holten.
Vielleicht waren die Erfolge der anderen für Edgley Antrieb, neue, nie da gewesene sportliche Herausforderungen zu suchen. Mal lief der Modellathlet 30 Marathons in 30 Tagen, mal zog er ein Auto für 19 Stunden über die Rennstrecke von Silverstone. Meist mit sportwissenschaftlichem Hintergrund, fast immer für einen guten Zweck.
„Nachdem ein Freund an Leukämie erkrankte, wollten wir Geld für die Kinderkrebshilfe sammeln. Wir merkten: Je verrückter die Aktion war, desto mehr Spenden kamen zusammen“,
so der Fitness-Guru.
6 Stunden schwimmen, 6 Stunden Pause, 6 Stunden schwimmen...
Nur einmal wurde der „Strongman“ ausgebremst. Beim Versuch, von der Karibik-Insel Martinique nach St. Lucia zu schwimmen, kämpfte er vergeblich gegen die Strömung an.
„Ich habe das Ufer nie erreicht, schwamm am Ende über 100 Kilometer. Der Athlet in mir war glücklich, der Abenteurer hatte noch was vor.“
Nach seiner Rückkehr kontaktierte er die britische Marine und versuchte herauszufinden, wie weit er in 48 Stunden schwimmen kann.
„Ich schaffte 126 Kilometer und ein Soldat schlug mir vor, doch mal um die komplette Insel zu schwimmen. Ich dachte, warum eigentlich nicht?“
Die Idee zum „Great British Swim“ war geboren. Nach weiteren Tests und Rücksprachen mit erfahrenen Langstreckenschwimmern sprang Edgley am 1. Juni in der südöstlich gelegenen Hafenstadt Margate ins Wasser. Seitdem kämpft sich der Modellathlet – nur geschützt durch einen Neoprenanzug – Tag und Nacht für jeweils sechs Stunden durch den rauen Atlantik. Dazwischen gönnt er sich für sechs Stunden auf dem Begleitboot eine Pause.
„Nachts ist es am schlimmsten, wenn ich mir diesen kalten, klammen Anzug überziehe und am Bootsrand meinen Zeh ins kalte Wasser halte. Das ist der längste Drei-Meter-Gang meines Lebens.“
„Das Quallen-Gift greift mein Nervensystem an.“
Die ersten Wochen liefen für Edgley gut. Nach einem Monat passierte er Land’s End, den westlichsten Punkt Englands. Dann schwamm er zwischen Irland und Wales hinauf Richtung Schottland. Die Tortur durch die Irische See blieb nicht ohne Blessuren. Edgley’s Nacken ist wund vom Schwimmanzug, seine Zunge zerfressen vom Salzwasser, seine Haut gerötet vom ständigen Kontakt mit Feuerquallen.
„Ich und die Quallen werden keine Freunde. Wir mussten uns etwas einfallen lassen.“
Eine Gesichtsmaske sollte ihn vor den Angreifern schützen, doch Verletzungen an Gesicht und Körper waren unvermeidlich.
„Die Schmerzen sind das eine. Das andere ist, wenn das Gift dein Nervensystem angreift. Der ganze Körper fängt an zu jucken und die Muskeln verkrampfen“,
so der Extremsportler.
Edgley biss sich Etappe für Etappe durch. In den kurzen Pausen muss er enorm viel essen und trinken. Bis zu 15 000 Kalorien täglich sind nötig, um seinen Energiehaushalt zu regulieren. Neben Power-Riegeln, Nudeln und Müsli stehen Bananen auf dem Speiseplan.
„Sobald ich merke, dass mein Energie-Level sinkt, fange ich an zu essen. Wenn man zweimal am Tag schwimmt, ist es ein Kampf, sich zu ernähren.“
Zudem erhält das Kraftpaket lange Massagen, um seine Schmerzen in der Schulter in den Griff zu bekommen.
Wind, Wellen, Kälte und ein Riesen-Hai
Nach 74 Tagen und 1000 Meilen der nächste Meilenstein: Der Brite knackte den 20 Jahre alten Langstreckenrekord für Etappen-Schwimmen des Franzosen Benoit Lecomte.
„Ich bin unglaublich stolz auf mich und das Team – 74 Tage auf See sind kein leichtes Kunststück. Ich hoffe, wir hören nicht auf, bis wir unser Ziel erreicht haben.“
Mittlerweile hat Edgley nach 90 Tagen und 1800 Kilometern den nordöstlichsten Punkt Großbritanniens (John O’Groats) erreicht. Immer in der Hoffnung, dass das Wetter hält und Wind, Wellen und Kälte ihm das Leben nicht zur Hölle machen. Auch die kurze Begegnung mit einem Riesen-Hai überstand Edgley schadlos.
Läuft alles weiter nach Plan, könnte seine Odyssee im September in der britischen Hauptstadt enden. Es wäre ein Triumph über die Elemente, über Körper und Geist. Auch wenn ihm das Unmögliche gelingen sollte, hat Edgley sicher schon das nächste verrückte Projekt im Hinterkopf…